Tomke in Kapstadt

Dienstag, November 08, 2005

Heute auf Spiegel - online

Ich weiß der Artikel ist lang, aber vielleicht interessierteuch das ja trotzdem...ich war schon da und dir Führungen laufen tatsächlich so ab, was ich allerdings sehr enttäuschend fand, weil man insgesamt wenig Zeit im Gefängnis verbringt...


GEFÄNGNISINSEL ROBBEN ISLANDDie Rückkehr der HäftlingeVon Michael Bitala und Antonin Kratochvil (Fotos)Auf Robben Island sperrten Südafrikas Rassisten ihre politischen Gefangenen ein, Nelson Mandela und Tausende andere. Heute führen die Häftlinge von einst stolz Touristen über die Insel. Sie ist das Symbol für den Sieg über die Apartheid.
Wenn sie dürften, würden sie es bestimmt gerne einmal machen. Nur so, zum Spaß, der Echtheit zuliebe. Die schwarzen Fremdenführer würden Wärter spielen und die überwiegend weißen Besucher vom Boot scheuchen. Sie würden sie am Kai zusammentreiben und ihnen Hand- und Fußfesseln anlegen. Vielleicht nähmen sie ihnen auch noch die Schuhe und die Socken weg, die dicken Jacken und Pullover. Und dann würden sie sie durchzählen lassen: 54697/05, 54698/05, 54699/05, 54700/05 und so weiter. So wie das früher eben mit den Gefangenen gemacht wurde.Und weil sich die Touristen beim Zählen vermutlich gar so anstellten, müssten sie das Ganze wiederholen. 54697/05, 54698/05, 54699/05. "Wie bescheuert seid ihr eigentlich?", würden die Fremdenführer schreien, "nicht mal anständig zählen könnt ihr!" Und wenn sich die Besucher über diesen Empfang beschwerten, dann hieße es nur: "Hört mal, Kaffern und Kulis, das hier ist kein Fünfsternehotel." Auch das war ein beliebter Spruch auf Robben Island.

Natürlich machen sie es nicht. Auf der berüchtigten Kerkerinsel vor Kapstadt wird heute niemand mehr gefesselt, niemand mehr gedemütigt, niemand mehr eingesperrt. Aber einige Touristenführer hätten durchaus Gefallen an dieser Idee - nicht weil sie böse Menschen wären, das nicht, aber eine Spur Sarkasmus haben sie alle. Da gibt es zum Beispiel Sipho Nkosi, einen älteren Herrn mit kugelrundem Bauch und sehr zittrigen Händen. "Willkommen auf Robben Island", sagt er zur eben eingetroffenen Gruppe, "Sie werden diese Gefängnisinsel nie wieder verlassen." Und dann lacht er am lautesten, weil ihn die Touristen verwirrt anstarren.Wie kann der Mann solche Witze machen? Mit solch einer Vergangenheit? Erst 1990 bekam Sipho Nkosi seine Freiheit und seinen Namen zurück, in den Jahren zuvor war er 78/86. Das war seine Nummer auf Robben Island, weil er als 78. Gefangener im Jahr 1986 auf der Insel ankam. "78/86", sagt Nkosi während der Führung immer wieder, "die Wärter nannten mich nur 78/86, sie haben mir selbst meinen Namen gestohlen."Wenn es einen Ort am Kap der Guten Hoffnung gibt, der durch und durch verstörend ist, dann ist das Robben Island. Kein Ausflugsziel wartet mit so vielen Überraschungen, so vielen Verwirrungen, so viel historischem Irrsinn auf wie dieses elf Kilometer vor der Küste von Kapstadt liegende Eiland. Es fängt damit an, dass heute ehemalige Häftlinge als Fremdenführer dort arbeiten, manche von ihnen wohnen sogar auf der Insel. Was aber hält sie freiwillig an einem Ort, an dem sie jahrelang, oft auch jahrzehntelang eingesperrt waren, gedemütigt und gefoltert wurden? Sipho Nkosi jedenfalls mag diese Frage nicht wirklich beantworten, er sagt nur: "Die Leitung des Robben-Island-Museums hat mich gebeten, das zu machen. Sie sagten, ich würde mich auf der Insel auskennen."Hat er keinen Drang, diesen Ort ein für allemal zu verlassen? "Es ist ein schwieriger Job", sagt der Ex-Häftling, und schon treibt er die Besucher weiter durchs Gefängnis: zwei Minuten in den Hof, wo auch er einst Steine klopfen musste; drei Minuten in den Raum der Zensoren, die die Briefe der Gefangenen nahezu komplett geschwärzt haben; zwei Minuten in die schäbigen Duschen, in denen es lange Zeit nur eiskaltes Wasser gab. Und dann geht es noch vier Minuten in die heilige Zelle - anders kann man das Loch nicht bezeichnen, in dem der berühmteste Häftling, Nummer 466/64, 18 Jahre lang inhaftiert war.Es ist ein winziger, kahler Raum, gerade zwei mal zwei Meter groß. Eine Matte und drei Filzdecken liegen am Boden, ein dunkelbrauner Blecheimer ist die ausgediente Toilette, und an der Wand hängen drei Metallkästen. Dort durfte Nelson Mandela in den letzten Jahren seiner Gefangenschaft Bücher verstauen. Bis auf das Klicken einiger Kameras herrscht Stille. 55 Touristen und kein Wort. So, als ob sie den heiligen Schrein betreten hätten, so, als ob sie darauf warteten, dass der heilige Geist der Freiheit auf sie niederkomme. Ex-Häftling Nkosi aber scheucht die Besucher weiter. "Sie können jetzt noch hinüber zu den Pinguinen oder sich eine Cola kaufen, aber beeilen Sie sich, das Boot fährt in 15 Minuten nach Kapstadt zurück."

Begrüßung, Inselrundfahrt, Hochsicherheitstrakt, Mandela-Zelle, Pinguine, Cola - so sieht die zweieinhalbstündige Führung auf Robben Island aus. Dazwischen gibt es Horrorstorys aus der Apartheidzeit und ein paar Scherze der ehemaligen Gefangenen. "Ist ein Tourist aus Holland dabei?", fragt zum Beispiel Fremdenführer Reginald Ahrens. Einer meldet sich. "Warum kommt ihr Holländer immer noch nach Südafrika? Glauben Sie, Ihre Buren-Verwandtschaft hätte uns nicht schon genug gequält?" Alle lachen, nur der Holländer blickt verwirrt.Vom Schrecken der Insel, vom Sadismus der Wärter, von der Verzweiflung der Gefangenen bekommt man bei solchen Touren nicht viel mit. Und von der Geschichte der Insel natürlich auch nicht. Man darf keinen Schritt außerhalb der Gruppe machen und keine Minute länger bleiben. All zu viel Freiheit gibt es auf der ehemaligen Gefängnisinsel auch heute noch nicht.Man muss sich Robben Island also anders nähern. Man sollte telefonieren und Geld ausgeben. Für 2000 südafrikanische Rand, das sind 250 Euro, erklärt sich zum Beispiel der ehemalige Häftling 885/63 bereit, eine Privatführung zu machen.885/63, das ist Indres Naidoo. Der Mann hat einen langen Pferdeschwanz, indische Gesichtszüge und schwarze Haut. Mit seiner Lederjacke aus Magdeburg sieht er aus wie 50, im kommenden Jahr wird er 70. Auffällig ist auch, wie unbeschwert er wirkt, wie oft er lacht und Scherze macht. Von 1963 an war er zehn Jahre auf Robben Island inhaftiert, weil er bei einem versuchten Anschlag auf ein Eisenbahnstellwerk erwischt wurde. Er war einer der ersten politischen Gefangenen auf der "Teufelsinsel", wie er sie nennt, einer derjenigen, die die größten Torturen erleiden mussten.Nachdem das Apartheidregime Robben Island 1960 zur Haftanstalt für farbige und schwarze Gegner gemacht hatte, konnte es die Häftlinge dort nahezu unbeobachtet von der Welt quälen. Diese mussten in den ersten Jahren in täglicher Zwangsarbeit das neue Hochsicherheitsgefängnis bauen. "Wir haben das so solide gemacht", sagt Naidoo, "dass wirklich niemand mehr von uns fliehen konnte."Erst nach ein paar Jahren wachte die internationale Gemeinschaft auf und übte Druck aus, erst danach gab es Hafterleichterungen wie sporadische Kinovorführungen oder wärmere Decken. Indres Naidoo hat sein Martyrium aufgeschrieben, "Insel in Ketten" heißt seine Erinnerung, und die Lektüre dieser 300 Seiten ist ein einziger Schrecken. Bei so vielen Verletzungen, bei so vielen Schmerzen ist es ein Wunder, dass der Mann noch lebt. "Unsere Wärter sagten immer: Ihr werdet dieses Gefängnis nicht mehr lebend verlassen. Davor hatten wir wirklich Angst."Am Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember 1963, wurde Indres Naidoo nach Robben Island gebracht, mit dem Boot "Dias", das heute noch im Hafen der Kapstädter Waterfront ankert. Gehört hatte Naidoo von der Insel vieles, vor allem Grausames: "Ich dachte, wir kommen ins südafrikanische Alcatraz, auf eine hässliche, graue, trostlose Insel." Doch so wie Häftling 885/63 vor 42 Jahren verwundert war, wundern sich heute noch Touristen. Robben Island ist wunderschön, das Eiland erinnert eher an eine Nordseeinsel als an einen Ort der Tyrannei. Schon vom Boot aus ist der rot-weiß gestrichene Leuchtturm zu sehen, die weiße, in den Himmel strebende anglikanische Kirche und die ehemalige Residenz des Gouverneurs.Es ist ein prächtiges Kolonialgebäude, das heute als Gästehaus benutzt wird, auch Nelson Mandela hat dort schon übernachtet. Gäbe es also diese graue Gefängnisanlage, die hohen Mauern, die Wachtürme und den vielen Stacheldraht nicht, wäre Robben Island eine der schönsten Inseln des Landes, mit Dutzenden von Vogelarten, mit Pinguinen, Robben, Antilopen, Schildkröten und Perlhühnern. Mit ein wenig Glück kann man Wale oder Delfine sehen.Doch auf Robben Island lag bis 1994, bis zum Ende der Apartheid und der Schließung des Gefängnisses, ein Fluch, einer, den die weißen Eroberer vor Jahrhunderten über sie gebrachten haben. Der Portugiese Bartolomeu Dias war der erste Europäer, der die Insel 1488 für die Weißen entdeckte. Zunächst diente sie als Basis, um Seehunde zu fangen, oder auch als Poststation. Auf dem Seeweg von Europa nach Südostasien hinterließen Matrosen unter Steinen ihre Briefe in ölgetränkten Tüchern. Auf diesen "Poststeinen" waren die Namen der Schiffe eingraviert, für die die Nachrichten bestimmt waren, außerdem Route, Datum der Ankunft und der Abfahrt sowie der Kapitänsname. Ansonsten war das Eiland vor allem Nahrungsreservoir. 1601 wurden zum Beispiel zwei Klippschliefer ausgesetzt, merkwürdige Wesen, die aussehen wie kaninchengroße Hamster, aber Elefanten als engste Verwandte haben. Und sie vermehrten sich ähnlich schnell wie die ausgesetzten Hasen. Somit wurden sie und die auf Robben Island lebenden Fettschwanzschafe und Rinder zum Frischfleischvorrat für die Matrosen.1614 aber war es mit der Idylle vorbei. Damals besiegelte die English East India Company das Schicksal der Insel. Sie beauftragte Sir Thomas Herbert, eine Siedlung für Bauern zu bauen, mit zehn Häftlingen. Damit war die Idee geboren, Robben Island nicht nur landwirtschaftlich, sondern auch als Gefängnis zu nutzen. 1636 sperrten die Briten die Anführer eines Aufstands dort ein, zwei Jahrzehnte später schickte der Holländer Jan van Riebeeck seinen Übersetzer Autshumao und zwei weitere Khoikhoi nach Robben Island in die Verbannung. Dutzende von Stammesführern und Königen aus Südafrika wurden auf der Insel eingesperrt, die Holländer brachten selbst noch aus Indien, Malaysia und Indonesien politische Gefangene.Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden, aber man kann es auch so ausdrücken, wie es die meisten Historiker heute tun: Robben Island wurde zur "Müllkippe" der Kolonialisten und Rassisten. Ob Verbrecher, Prostituierte, Leprakranke, Blinde, Kriegsgefangene oder politische Gegner - all diejenigen, die isoliert, versteckt oder eingesperrt werden sollten, landeten auf dem 574 Hektar großen Eiland. Wenn man mit dem Ex-Häftling Indres Naidoo über die Insel läuft, erzählt er von seinen Qualen. Jeden Tag gab es Prügel, Erniedrigungen, Gebrüll von weißen Wärtern. Im wenigen Essen tummelten sich Würmer, Insekten und Maden, im Kalksteinbruch, wo sie schuften mussten, schnitten sie sich am scharfkantigen Geröll die Füße auf, und wenn sie auf die Toilette mussten, dann gab es meist nicht einmal Klosettpapier. Nachts kamen die Alpträume, die eisige Kälte, der Hunger, die unendliche Einsamkeit. Und immer wieder wurde Naidoo auch in Isolationshaft gesteckt, immer wieder wurde er gefoltert oder mit dem Rohrstock verprügelt. Den Erzfeinden der Apartheid sollte das Rückgrat gebrochen werden. Die Wärter schimpften die Schwarzen "Kaffern", Inder wie Naidoo waren "Kulis".Der ehemalige Häftling erzählt, wie nah die Freiheit oft schien. Vor allem an der Stelle, wo heute Tausende von Pinguinen brüten, hat man einen überwältigenden Blick auf den Tafelberg, es scheint, als liege kein Meer zwischen Robben Island und Kapstadt. Doch das azurblaue Wasser ist nicht nur voll mit Haien, es ist auch das ganze Jahr über bitterkalt, selbst im Sommer, wenn sich die Luft auf 35 bis 38 Grad aufheizen kann, hat es wegen der antarktischen Strömung nur 13 oder 14 Grad.Natürlich hat es trotzdem Ausbruchsversuche gegeben, mit Booten, die aus Tierfellen gebaut waren, mit Planken oder einfach dadurch, dass Inhaftierte ins Wasser stiegen und davonschwammen. Die meisten starben, aber die Behauptung des Apartheidregimes, dass all die Geflohenen ertrunken, erfroren oder von Haien gefressen worden sind, stimmt sicherlich nicht. Viele der Häftlinge, die es versucht haben, sind einfach in der Anonymität verschwunden. Und dass man es schaffen kann, bewies die 15-jährige Peggy Duncan schon 1926, als sie die elf Kilometer lange Route nach Kapstadt in neun Stunden und 25 Minuten schwamm. Das Problem der meisten schwarzen und farbigen Häftlinge während der Apartheid war nur, sagt Indres Naidoo, "dass kaum einer von uns schwimmen konnte; das wussten auch die Rassisten".Es geht zurück zum Schnellboot, das nach Jan van Riebeecks verbanntem Übersetzer Autshumao benannt ist, und Naidoo redet und redet und redet. Als ob er jedes Detail seiner Tortur loswerden möchte. Nach zehn Jahren Haft nahm er den Kampf gegen die weißen Rassisten wieder auf, zunächst im Exil in Mosambik und Sambia, später als Gesandter des African National Congress in Ost-Berlin. Er hat mehrere Attentatsversuche überlebt und wurde nach der Unabhängigkeit Südafrikas Senator der ANC-Regierung. Heute lebt er als Rentner in Kapstadt und kann von seiner Terrasse aus Robben Island sehen. Beim Ablegen der "Autshumao" gibt es einen seltsamen optischen Effekt, den Indres Naidoo in seinem Buch so beschreibt: "Die Insel scheint größer zu werden, je weiter wir uns von ihr entfernen. Zuerst sehen wir nur die kleine Hafenanlage, dann die Felsen und Sträucher zu beiden Seiten und schließlich die ganze, ausgedehnte Küstenlinie, eine vollständige Insel, ein grünes, malerisches Stück Land im Ozean. Die grausame Monotonie ihres inneren Lebens ist völlig verborgen hinter der äußeren natürlichen Schönheit."Zum Abschied eine letzte Frage: War es nicht entsetzlich, als Indres Naidoo 1994 die Insel zum ersten Mal wieder betreten musste? "Nein, ganz und gar nicht", sagt er, "es war fantastisch." Als Nelson Mandela zum Staatspräsidenten gewählt worden war, lud dieser all die ehemaligen politischen Gefangenen nach Robben Island ein, von 1960 bis 1990 waren immerhin 3000 Männer dort inhaftiert. Und das Wiedersehen, sagt Naidoo, sei "eine einzige Freude" gewesen. Während der Haft nämlich, mit jedem Widerstand, mit jedem Hungerstreik, mit jeder erkämpften Erleichterung, sei der Zusammenhalt der Gefangenen noch enger geworden. "Das gab uns eine enorme Kraft, das verbindet uns ein Leben lang." Und gerade weil sie ja den Kampf gewonnen haben, gerade weil diese Insel heute der Inbegriff des Erfolgs sei, mache es auch vielen ehemaligen Häftlingen nichts aus, dort als Fremdenführer zu arbeiten. "Wir können all die Besucher doch voller Stolz herumführen."Zum Treffen mit Mandela auf Robben Island waren übrigens auch die ehemaligen Wärter eingeladen, doch nur ganz wenige erschienen, diejenigen eben, mit denen die Häftlinge über die Jahre hinweg Freundschaften aufgebaut haben. Alle anderen blieben weg. "Viele Aufseher haben nach der Unabhängigkeit einen anderen Namen angenommen und sind abgetaucht. Die haben Angst vor uns", sagt Naidoo, "die glauben, dass wir Rache nehmen wollen. Dabei hätten wir uns wirklich gefreut, sie zu sehen."